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Die Gefühle sind heute der letzte dunkle Kontinent, den es zu entdecken gibt. Das gilt für die Sozialwissenschaften wie für die Ökonomie und die Hirnforschung. Fast alle haben dem rationalen Menschen jahrzehntelang den Vorrang gegeben, und nun stellt man wieder einmal fest, wie viel Einfluss die gefühlte Wirklichkeit auf das Handeln hat. Dabei ist man sich nicht mal einig, was ein Gefühl ist, und man weiß kaum, was angeboren ist, was erlernbar und durch welche Anreize. (...)
Zunächst ist es hoch spannend, zu sehen, wie Mediziner und Physiologen, dann auch Psychologen seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts versucht haben, Gefühle experimentell zu erzeugen, zu lokalisieren und zu vermessen. Auf ihren Schultern stehen heute die affektiven Neurowissenschaften, die mit ihren neuen bildgebenden Verfahren buchstäblich Licht ins Dunkel der Gefühle bringen wollen. Aber mit jeder experimentellen Anordnung ist notwendigerweise Reduktion verbunden: Man isoliert bestimmte Faktoren und Variablen, um ihre Wirkungen und Zusammenhänge umso genauer prüfen zu können. Was dabei verloren geht, ist erstens Komplexität, zweitens Einbettung, drittens Differenzierung. Dass es unendlich viele und feine Abstufungen gibt zwischen Leidenschaften, Affekten, Empfindungen, Stimmungen und Gefühlen – diese Kenntnis des 18. und 19. Jahrhunderts ist der modernen experimentellen Psychologie weitgehend verloren gegangen. (...)
Historiker müssen nach den Gefühlen suchen, sie liegen nicht offen in der Gegend herum. Sie drücken sich in Texten, Gemälden, Tönen, Gebäuden aus, aber sie verstecken oder verschlüsseln sich auch darin. Selbst wenn ein Text, etwa ein Brief von 1750, ein Gefühl wie Liebe oder Scham direkt anspricht, wissen wir noch nicht unbedingt, was damit gemeint ist. Das erschließt sich erst, wenn wir soziale Normen und Institutionen hinzunehmen, die Gefühle formen und beeinflussen. Und was ein Gefühl bedeutet, sogar, wie es sich anfühlt, hängt davon ab, in welcher Auffassung vom Körper der Mensch jeweils steckt.

(Ute Frevert im Zeit-Interview mit Eva Illouz, http://www.zeit.de/2012/37/Gefuehl-Emotionen-Interview-Illouz-Frevert)

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